Über den Vortrag von Prof. Fleissner im Informatischen Colloquium am 03.02.97 zu dem Thema ,,Was heißt eigentlich Informationsgesellschaft?''
,,Ich freue mich auf Ihre Fragen und unsere Diskussion im Anschluß¡` mit diesen Worten eröffnete Herr Fleissner (bewußt oder unbewußt) das Colloquium im Konrad-Zuse-Hörsaal ganz im Weizenbaumschen Sinne und ließ auch den ganzen Abend durch Literaturverweise auf Weber, Feuerbach, Cassierer, Marx u.a. keinen Zweifel daran, daß hier ein Mathematiker und Techniker ganz besonderer Prägung eine Fragestellung beleuchten wollte. Denn das es hier nicht darum ginge, Fragen zu beantworten, war gleich der Inhalt seines zweiten Satzes. Vielmehr umriß er in großen Zügen die Vision der Informationsgesellschaft, wie die EU sie in einem Strategiepapier entworfen hatte, und stellte Fakten und Eindrücke aus den betroffenen Bereichen Wirtschaft, Kultur und Politik dagegen.
Ganz nach dem kritischen Tenor des Institutes für Technikfolgenabschätzung, an dem er an der TU Wien lehrt, warnte er unablässig vor zu optimistischen Prognosen. Am Ende vertrat er mutig seine eigenen Thesen vor dem bunt gemischten Publikum: Die Faszination an der Informationsgesellschaft würde von dem Wunsch nach Omnipräsenz und Allwissenheit getragen, in Zukunft würde die Entscheidungsfreiheit und damit auch der Entscheidungszwang des Einzelnen weiter zunehmen, sich eine/mehrere Identität(en) zu definieren, real abnehmende soziale Bindungen und Kontakte würden durch virtuelle Freundeskreise ersetzt und auch Macht würde zunehmend durch das Netz ausgeübt werden. Das übers Netz verteilt zu spielende Rollenspielsystem MUD (Multi-User-Dungeon) war dabei sein Lieblingsbeispiel und mußte wiederholt als Illustration für gute wie bedenkliche Aspekte herhalten.
Unwidersprochen blieben seine Charakterisierung der Gesellschaftsentwicklung als selbstmörderisch und seine Zweifel an dem automatischen Nutzen der neuen I&K-Technologien für den Einzelnen und die Gesellschaft.
In der Diskussion kamen wir durch Nachfragen auch auf Herrn Fleissners Konzept von einer basisdemokratisch organisierten Universität, an dem er gerade arbeitet und in dem er für die neuen I&K-Technologien eine zentrale fördernde und führende Rolle vorsieht.
Am Rande erläuterte Herr Fleissner, daß das Institut für Technikfolgenabschätzung an der Technischen Universität, dem er angehört, auf Begehren der Studierenden eingerichtet worden sei und sich - wegen einer sich nach seiner Ansicht ausbreitenden Zukunftsangst vor unbeherrschbarer Technik - großen studentischen Zulaufes erfreut.
Von Herrn Rolf nach seiner Zugehörigkeit zu einem der beiden großen Lager der Technikfolgenabschätzer gefragt, bekräftigte Herr Fleissner seinen Glauben an die Zukunftsfähigkeit der Technik. Die Ablehnung weitere Technikentwicklung und Verbreitung sieht er nur als Kapitulation vor den Herausforderungen der Zukunft. Aber: ,,die technische Wissenschaft Newtonscher Prägung hat ausgedient.`` In der Chaostheorie und in den Konzepten von globalen komplexen Modellen sah er Beispiele für eine elastische Wissenschaft, die Mensch und Technik effizient synergiert.
Hier konnten die Zuhörer einen vielfach belesenen, motivierten und
offenen Wissenschaftler erleben, der neben fachübergreifendem Wissen
und reichlich Basiskontakt auch Visionen hat und den Mut, sich provokanten
Thesen zu stellen und sie zu diskutieren. Auf seiner Homepage unter
http://igw.tuwien.ac.at/igw/Personen/fleissner/peter.html
kann jeder sich selbst mit diesem bemerkenswerten Menschen
bekanntmachen, der hoffentlich nicht zum letzten Mal in Stellingen zu Gast
war.
Tim Suchanek