Petra Hinz (* 10. Juni 1962 in Essen) ist eine deutsche Politikerin (SPD). Seit 2005 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages.
Nach Mobbingvorwürfen ihrer Mitarbeiter sowie der Affäre um ihre gefälschte Vita trat sie Anfang August 2016 von allen Parteiämtern zurück, behält aber vorerst ihr Mandat im deutschen Bundestag.
Petra Hinz wuchs in Essen auf und schloss nach Angaben ihrer Rechtsanwälte ihre Schullaufbahn am heutigen Erich-Brost-Berufskolleg der Stadt Essen 1983 mit der Fachhochschulreife ab.[1][2] Anschließend absolvierte sie laut eigenem Bekunden ein einjähriges Praktikum bei der Sparkasse und von 1985 bis 1987 eine Ausbildung im Bereich Moderation und Kommunikation.[3] Von 1999 bis 2003 übte sie nach Angaben ihrer Anwälte eine „nicht juristische“ Angestelltentätigkeit aus.[2]
Schlüsselerlebnis für ihren zukünftigen Lebensweg als Politikerin sei ihr zufolge „der Auftritt von Willy Brandt in der Grugahalle“ im Jahr 1969 gewesen.[4] Sie war damals sieben Jahre alt.
Hinz wurde mit 17 Jahren Mitglied der SPD und war seit 1982 in zahlreichen Funktionen tätig, so unter anderem seit 2003 als stellvertretende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Essen. Am 18. Juli 2016 erklärte sie ihren Rücktritt von dieser Funktion.[5] Sie ist Mitglied im beratenden Sprecherkreis des Seeheimer Kreises.[6]
In der Essener SPD gehörte Hinz zum Parteiflügel um den früheren Bundestagsabgeordneten Otto Reschke.[7] Ihr Ortsverein Frohnhausen will die Zusammenarbeit mit seiner Vorsitzenden im Ergebnis einer Vorstandssitzung vom 19. Juli 2016 weiter fortsetzen.[8]
Von 1989 bis 2005 gehörte Hinz dem Rat der Stadt Essen an, ab 2004 als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Von 2003 bis 2005 war sie auch im Regionalrat für den Regierungsbezirk Düsseldorf. 2005 wurde sie nach einer Kampfabstimmung von ihrem Unterbezirk als Kandidatin für den Bundestagswahlkreis Essen III nominiert.[9]
Seit 2005 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Bei der Bundestagswahl 2005 konnte sie im Wahlkreis Essen III mit 48,1 % der Erststimmen gewinnen und bei der Bundestagswahl 2009 mit 38,6 %. Hinz war in der Wahlperiode 2009 bis 2013 ordentliches Mitglied im Finanzausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss, im Petitionsausschuss und im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages.
Bei der Bundestagswahl 2013 erhielt sie 39,5 % der Erststimmen; Matthias Hauer (CDU) erhielt laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis drei Stimmen mehr.[10] Eine durch den Kreiswahlausschuss beschlossene Neuauszählung aller rund 150.000 Stimmzettel ergab, dass Hauer 93 Stimmen mehr als Hinz erhalten hatte.[11] Sie zog über die Landesliste der SPD Nordrhein-Westfalen in den Bundestag ein. Dort war sie ordentliches Mitglied im Rechnungsprüfungsausschuss (Sprecherin ihrer Fraktion) und im Haushaltsausschuss. Des Weiteren war sie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Gesundheit sowie im Unterausschuss Kommunales und in ihrer Fraktion stellvertretende Sprecherin in der AG Kommunales.
Hinz kündigte am 18. Juli 2016 an, wegen Mobbingvorwürfen ihr Bundestagsmandat niederzulegen.[12] Gegenüber der Presse gab sie an, ihren Rücktritt bei Bundestagspräsident Norbert Lammert erklären zu wollen, der allerdings zu der Zeit im Urlaub war. Dies wurde in den Medien kritisiert, da eine Rücktrittserklärung auch bei jedem deutschen Notar oder einer deutschen Botschaft möglich wäre. Nach Angaben des Bundestags hat Hinz mehrere Versuche scheitern lassen, ihr noch im Juli einen Termin beim Bundestagspräsidenten zu verschaffen. Dieser hatte sich bereit erklärt, dafür nach Berlin zu kommen. Hinz habe dagegen um einen Termin im September gebeten.[13] Durch die Verzögerung des Rücktritts erhält Hinz weiterhin Bezüge und Büropauschalen von über 13.600 Euro pro Monat.[14]
Der Essener SPD-Chef Thomas Kutschaty forderte Hinz am 1. August auf, binnen 48 Stunden ihren Rücktritt zu erklären: „Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, als wolle sie auch noch die Diät für September kassieren.“[15][16] Rechtlich gesehen kann Hinz ihr Mandat bis zum Ende der Legislaturperiode behalten.[17]
Im März 2009 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen Petra Hinz ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung eingeleitet hatte. Ihr wurde vorgeworfen, seit 2003 keine ordentlichen Steuererklärungen beim Finanzamt abgegeben zu haben.[18] Im Juli 2009 wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt.[19]
Im Juli 2012 lud die Arbeitsgemeinschaft der SPD-Mitarbeiter im Deutschen Bundestag Hinz zu einem Gespräch über die Klagen von mindestens 20 ehemaligen Mitarbeitern ihres Bundestagsbüros über „irrsinnige Schikanen“ und „persönliche Erniedrigungen“ ein. Hinz verweigerte das Gespräch und schrieb stattdessen in einer Antwort, die Vorwürfe würden „jeder Grundlage entbehren“. Als Hinz nach der Bundestagswahl 2013 wieder einen Bürojob ausschrieb, verschickte die Arbeitsgemeinschaft eine „Warn-Rundmail“ an potenzielle Bewerber.[20]
Mitte Juni 2016 versandte eine „Gruppe ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Petra Hinz“ anonym einen Brief an diverse verantwortliche Stellen, so an die SPD-Landesvorsitzende und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sowie an ihren Generalsekretär André Stinka und an die Mitglieder der Essener SPD-Ratsfraktion. Demnach würden „zum täglichen Umgangston im Büro Hinz persönliche Beleidigungen, Diffamierungen, Mobbing, ständige Überwachung und Maßregelung sowie die Übertragung von demütigenden Aufgaben“ gehören.[21][22] Durch diesen Brief sollte eine erneute Kandidatur Hinz’ für den Bundestag verhindert werden, die bis dahin bereits über 50 Mitarbeiter „verschlissen“ hatte und zuletzt gar keine mehr hatte.[23][24]
Hinz erklärte:
„Sollte der Autor des Schreibens SPD-Mitglied sein – was ich einfach nicht glauben mag – müssten die Essener Sozialdemokraten dafür sorgen, dass er oder sie nicht mehr lange Mitglied bleibt. Jemand, der in ehrabschneidender Weise sozialdemokratische Mandatsträger diffamiert und sozialdemokratische Delegierte nötigt, hat in unserer Partei nichts mehr zu suchen. Er verstößt gegen die Grundprinzipien der Partei, der Solidarität, der fairen demokratischen Diskussion und der demokratischen Wahl unserer Mandatsträger.“
Am 18. Juli 2016 gab Hinz bekannt, zur Bundestagswahl 2017 wegen der Mobbingvorwürfe gegen ihre Person seitens ehemaliger Mitarbeiter, die sie gleichwohl als unbegründet zurückwies, nicht wieder zu kandidieren.[12] Der Essener SPD-Vorsitzende Thomas Kutschaty zeigte sich überrascht und betonte, Hinz hätte eine „breite Rückendeckung für eine erneute Kandidatur erhalten“.[25]
Am 22. Juli 2016 äußerte sich erstmals ein ehemaliger Mitarbeiter zu den Mobbingvorwürfen. Der Historiker Norman Kirsten bestätigte in einem Interview die in dem anonymen Brief erhobenen Vorwürfe. Länger als ein gutes halbes Jahr habe er es „nicht ausgehalten“.[26]
Der anonyme Brief wurde auch an regionale wie überregionale Medien verschickt, wobei zunächst lediglich der freie Journalist Pascal Hesse (u. a. Informer Magazine, Essen) Recherchen aufnahm und Anfragen an Petra Hinz sowie an SPD-Parteigremien der verschiedensten Ebenen richtete. Als diese Anfragen bis zum 23. Juni 2016, 12 Uhr, nicht fruchteten, veröffentlichte er wie angekündigt einen Artikel.[21] Aufgrund dieser Publikation erschien am gleichen Abend auch ein Artikel in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.[27] In der Redaktion war infolge des Artikels der Hinweis eines Essener SPD-Mitglieds über Unregelmäßigkeiten auch in der Vita von Petra Hinz eingegangen, worauf die Redaktion Anfang Juli 2016 eine Anfrage an Hinz richtete.[28] Nach Gesprächen mit einem weiteren Essener SPD-Mitglied wurde diese Anfrage präzisiert und erneuert, ohne dass eine Antwort kam.[29]
Daraufhin bat die Redaktion am 19. Juli 2016 unter anderem Bundestagspräsident Norbert Lammert, SPD-Chef Sigmar Gabriel, NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft und Essens SPD-Chef Thomas Kutschaty um Auskunft und Antworten.[30] Diese kam dann noch am selben Tag von einem Essener Anwalt (Anwaltskanzlei Heinemann & Partner), der mitteilte, dass Petra Hinz hinsichtlich ihres Lebenslaufs jahrzehntelang falsche Angaben gemacht habe. Entgegen ihren früheren Angaben, die unter anderem auf der Internetseite des Bundestages veröffentlicht waren,[31] habe sie weder die allgemeine Hochschulreife erworben noch ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und somit auch keine juristischen Staatsexamina abgelegt. Auch Angaben über eine Tätigkeit als Anwältin in einer Kanzlei, als Juristin im Management eines Konzerns sowie über eine freiberufliche Tätigkeit seien von ihr erfunden worden.
Eine Korrektur ihres gefälschten Lebenslaufes wurde von ihren Rechtsanwälten am 19. Juli 2016 auf ihrer Abgeordnetenhomepage veröffentlicht. Ein großer Teil der in ihrer Biografie bis dahin[31] gemachten Angaben ist demnach falsch.[1][2][32]
Die Staatsanwaltschaft am Landgericht Essen teilte am 20. Juli 2016 mit, sie prüfe aufgrund vorliegender Strafanzeigen, ob ein Anfangsverdacht wegen eines Täuschungsdelikts gegeben sei.[33]
Am 26. Juli 2016 wurde publik, dass der ehemalige Essener SPD-Chef Dieter ten Eikelder bereits im Herbst 1989 aus den eigenen Reihen Hinweise über den gefälschten Lebenslauf erhalten und den damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Otto Reschke, Förderer von Hinz, informiert habe.[34][35]
Nach Angaben des früheren SPD-Landtagsabgeordneten Willi Nowack wusste die Führung der Essener SPD von den falschen Angaben in Hinz’ Lebenslauf. Insbesondere Reschke und der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty seien informiert gewesen; beide bestreiten das.[36]
Einer Pressekonferenz des Unterbezirk-Vorsitzenden Thomas Kutschaty am 4. August 2016 zufolge wolle Hinz alle Ämter der Essener SPD niederlegen, vorerst aber ihr Bundestagsmandat behalten.[37]
Personendaten | |
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NAME | Hinz, Petra |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Politikerin (SPD), MdB |
GEBURTSDATUM | 10. Juni 1962 |
GEBURTSORT | Essen |