Karl Ludwig Sand (* 5. Oktober 1795 im damals preußischen Wunsiedel; † 20. Mai 1820 in Mannheim durch Hinrichtung mit dem Schwert) war ein radikaler deutscher Burschenschafter und Mörder August von Kotzebues.
Die Familie Sand war alter Coburger Niederadel, seit dem 14. Jahrhundert auch in Thüringen nachweisbar. Der aus Erlangen stammende Vater Gottfried Christoph Sand (1753–1823) wurde 1785 auf das Amt des Stadtrichters und Landvogtes des zu Brandenburg-Bayreuth gehörigen Wunsiedel berufen. 1791 fiel Bayreuth an Preußen. Im Jahre 1797 wurde Gottfried Christoph Sand Justizrat.
Gottfried Christoph Sand heiratete Dorothea Johanna Wilhelmina Schöpf (1766–1826), die jüngste Tochter des Kammerrats Johann Martin Schöpf (1718-1778), dem Begründer der Brandenburg-Schöpfschen Baumwollmanufaktur, eines frühindustriellen Unternehmens von regionaler Bedeutung. Die Familie zählte also zum Kreis der örtlichen Honoratioren.
1795 wurde Carl Ludwig Sand als jüngstes von acht Geschwistern geboren, von denen drei jedoch früh starben. Ab 1804 besuchte Sand die Lateinschule in Wunsiedel. Er war ein Schüler mit langsamer Auffassungsgabe, was er jedoch durch beharrlichen Fleiß auszugleichen wusste. Bestimmende Einflüsse seiner Kindheit waren einerseits das kulturell von aufgeklärtem Protestantismus und preußischem Patriotismus geprägte Elternhaus, andererseits das Erlebnis der französischen Besetzung. Im Herbst 1806 wurde das Bayreuther Gebiet (und damit Wunsiedel) von französischen Truppen besetzt und 1807 mit dem Frieden von Tilsit an Frankreich abgetreten. Die Einquartierungen und Kontributionen bedeuteten eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für die Region. Dazu kam die politische und militärische Unsicherheit an der Peripherie des französischen Herrschaftsbereichs.
Ab Ostern 1810 besuchte Sand das Gymnasium in Hof. Er wohnt bei dessen Rektor Georg Heinrich Saalfrank, der der Familie Sand durch Freundschaft und gemeinsame sittlich-religiöse Überzeugung verbunden war. Nach der Auflassung des Hofer Gymnasiums infolge der Montgelas'schen Reformen folgte er seinem Lehrer an das Neue Gymnasium in Regensburg, das er im September 1814 abschloss.
Zu dieser Zeit war er geprägt durch
Nach dem Abitur unternahm er eine Reise in die Schweiz, fand jedoch zu seinem Bedauern in den Bewohnern des Landes keine Ebenbilder von Schillers Tell.
Am 27. November 1814 immatrikulierte Sand sich an der Universität Tübingen. Wenige Tage zuvor, am 19. November 1814, war dort das Corps Teutonia gegründet worden. Sand wurde zunächst Renonce (Fuchs), dann am 22. April 1815 Mitglied der Teutonia. Als mit der Rückkehr Napoleons aus der Verbannung auf Elba die Herrschaft der Hundert Tage begann, meldete Sand sich freiwillig und marschierte als Kadett des Freiwilligen Jägerkorps des Rezat-Kreises gegen Frankreich. Bevor es zu einer Feindberührung kam, beendete die Schlacht bei Waterloo jedoch die kurze Herrschaft Napoleons. Sands Verband blieb einige Zeit als Besatzungstruppe in Auxerre, im Dezember 1815 erfolgte der Heimmarsch und die Auflösung des Verbands.
Nach seiner Rückkehr setzte Sand sein Studium an der Universität Erlangen fort, wo im Gegensatz zu Tübingen noch die traditionalistischen, landsmannschaftlich organisierten Studentenschaften dominierten. Im Juni 1816 wurde Sand Mitglied der Landsmannschaft Franconia, die er von innen reformieren und dem burschenschaftlichen Gedanken zuführen wollte. Nach dem Fehlschlag dieses Plans trat er aus und wurde von Franconia am 18. August 1816 in Verruf erklärt.
Sand warb in Erlangen intensiv für burschenschaftliche Ideen und sammelte einen Kreis von Gleichgesinnten. Seine Bemühungen gipfelten in einer romantischen, von Schiller inspirierten Rütly-Feier auf dem Altstädter Berg bei Erlangen, und in der Gründung der Alten Erlanger Burschenschaft Teutonia 1, Vorläufer der Burschenschaft der Bubenreuther (1817), deren geistiger Führer Sand bis Mitte 1817 blieb. Im Winter 1816/1817 arbeitete Sand am Erlanger Burschenbrauch, dem „Gesetzescodex des akademischen Staates“, maßgeblich mit. Bei diesem Burschenbrauch handelte es sich um ein detailliertes Reglement des burschenschaftlichen Lebens in 427 Paragrafen. Bemerkenswert sind die demokratischen Regulative, mit denen er sich von den Statuten traditionell verfasster Studentenschaften unterschied, aber auch die antisemitischen Elemente, nach denen Juden „als Feinde aller Volksthümlichkeit“ von der Mitgliedschaft in einer Burschenschaft von vorneherein ausgeschlossen wurden.
Am 17. Juni 1817 hielt er seine Probepredigt in der Neustädter Kirche. Am 18. Juni nahm er an einer Feier zur Erinnerung an die Schlacht bei Waterloo teil. Vier Tage später ertrank Sands Freund Georg Friedrich Christoph Dittmar (1795–1817) vor seinen Augen, was bei Sand eine psychische Krise nach sich zog.
Vom 17. bis zum 19. Oktober 1817 nahm Sand am Wartburgfest in Eisenach teil. Er war Mitglied des Festausschusses und Fahnenbegleiter beim Zug auf die Wartburg. Auf dem Fest verteilte Sand seine wenig beachtete Flugschrift zur Gründung einer „allgemeinen freien Burschenschaft“, die erst 1818 größere Wirkung entfaltete. An der Bücherverbrennung auf dem Wartenberg, bei der unter anderem August von Kotzebues Geschichte des deutschen Reichs verbrannt wurde, war Sand beteiligt. Kotzebue wurde von den Burschenschaftern verdächtigt, als russischer Spion gegen Deutschland gewirkt zu haben.
Nach dem Wartburgfest setzte Sand sein Studium an der Jenaer Universität fort – er hörte bei Jakob Friedrich Fries, Heinrich Luden und Lorenz Oken. Er wurde Mitglied der 1815 in Jena gegründeten Urburschenschaft und ihres Ausschusses, im Sommersemester 1818 auch des inneren Zirkels, des engeren Vereins und des Vorsteherkollegiums. Kurz nach seiner Ankunft in Jena suchte Sand Goethe auf mit der Bitte, das alte, zum Abriss anstehende Ballhaus für die Turnübungen der Burschenschafter benutzen zu dürfen, doch ohne Erfolg. Mit Heinrich von Gagern, Heinrich Leo, August Daniel von Binzer, Uwe Jens Lornsen und anderen Burschenschaftern gründete er einen wissenschaftlichen Verein innerhalb der Burschenschaft. Unter dem Einfluss Karl Follens entwickelte sich Sand zum Anhänger der „Unbedingten“, einem Flügel der Burschenschaft, der politischen Mord nicht ausschloss.
Sands auf dem zweiten Burschentag in Jena verbreitetes Flugblatt Teutsche Jugend an die teutsche Menge, zum 18. October 1818 mit einem Ausschnitt aus Follens Großem Lied, in dem dieser Burschenschafter und Volk zum politischen Handeln für deutsche Einheit und Freiheit und gegen die Fürsten aufrief, fand keine Resonanz. Sand galt als guter Fechter, der 25 Mensuren geschlagen haben soll, auf die er sich stets mit Gebeten vorbereitete. Im Herbst 1818 reiste Sand nach Berlin, wo er Friedrich Ludwig Jahn aufsuchte und sein Flugblatt unter den Studenten verteilte.
Die Ermordung Kotzebues erwog Sand schon am 5. Mai 1818 in seinem Tagebuch. Er nannte ihn einen „Landesverräter“ und „Volksverführer“, begriff ihn als Feind der Burschenschaft und ihres Ringens um Deutschlands Einigung und Freiheit. Nach dem formalen Austritt aus der Burschenschaft im Februar 1819 reiste Sand nach Mannheim. Er rastete auf der Wartburg, in deren Gästebuch er das Körner-Zitat – Theodor Körners Gedichte trug Sand stets bei sich – schrieb: „Drück dir den Speer ins treue Herz hinein! Der Freiheit eine Gasse!“.
Am Vormittag des 23. März 1819 suchte Sand unter Verwendung eines kurländischen Aliasnamens August von Kotzebue in dessen Mannheimer Wohnung auf. Er wurde zunächst abgewiesen und gebeten, am Nachmittag wieder zu kommen. Gegen fünf Uhr erschien Sand ein zweites Mal und wurde sogleich vorgelassen. Nachdem nur wenige Worte gewechselt worden waren, zog Sand den verborgenen Dolch und stieß ihn Kotzebue mit den Worten: „Hier, du Verräter des Vaterlandes!“ mehrfach in die Brust. An den Folgen dieser Verletzungen starb Kotzebue nach wenigen Minuten. Der vierjährige Sohn Kotzebues wurde vom Kinderzimmer aus zufällig zum Zeugen des Mordes, was Sand aus der Fassung brachte. Statt zu fliehen, stieß er sich einen zweiten Dolch in die Brust, stürzte zur Haustür und übergab an der Tür einem Diener die mitgebrachte Schrift Todesstoß dem August von Kotzebue, zu der er sich auch in seinem Prozess bekannte. Auf der Straße angekommen, versetzte er sich einen weiteren Dolchstoß und verlor das Bewusstsein.
Sein Selbstmordversuch scheiterte jedoch, er wurde noch auf der Straße wiederbelebt und in das Krankenhaus gebracht, wo er sich bald soweit erholte, dass er vernommen werden konnte. Der zweite Dolchstoß hatte jedoch eine tiefe Verletzung der Lunge verursacht, und eine folgende Infektion verhinderte, dass die Wunde sich schloss. Unter anderem wohl deshalb genoss Sand während seiner über einjährigen Untersuchungshaft im Zuchthaus Mannheim zahlreiche Privilegien: er musste keine Ketten tragen, hatte eine geräumige Zweifensterzelle, und den übrigen Gefangenen wurde sogar befohlen, ihre Ketten während des Hofgangs festzuhalten, damit deren Klirren nicht die Ruhe des Kranken störten. Dieser gab sich auch gegenüber den Aufsehern stets ausgesprochen höflich und machte keinerlei Schwierigkeiten. Seine Tat bereute er offensichtlich nicht und stellte sie immer wieder auf eine Stufe mit historischen Tyrannenmorden.
Das Hofgericht Mannheim verurteilte Sand am 5. Mai 1820 zum Tode. Von seinen – vermutlichen – Helfern nannte er keinen, besonders deckte er den stark verdächtigten Follen.
Sand galt als fleißiger und vorbildlicher Student, zutiefst gläubiger Christ, schwerfällig von Gemüt, mit verworrenen Gefühlen und ungeordneten politischen Ideen. An einer einmal als richtig erkannten Meinung hielt er unbeirrt fest und betrachtete sie als absolute Wahrheit, ähnlich der Heilsgewissheit des Evangeliums. Jeder Gegner galt ihm als Verräter an der Idee des Sittlichen, Richtigen und Wahren, der den Tod verdiene. Folglich erschien ihm auch der politische Mord als eine sittliche und gerechtfertigte Tat. Bereits bei seiner Hinrichtung war Sand ein Symbol für Einheit und Freiheit geworden, die anwesende Volksmenge „schluchzte“ und war „überaus ergriffen“, brachte Blumen und Trauerweiden mit. Taschentücher wurden in Sands Blut getaucht, Locken von seinem Kopf abgeschnitten, Späne vom Schafott abgebrochen (Originale im Archiv der deutschen Burschenschaft). Aus dessen Holz baute der Henker sich in seinem Heidelberger Garten ein Häuschen, in dem bevorzugt die geheime Burschenschaft tagte. Bereits nach kurzer Zeit mussten die Reste abgerissen werden, da Reliquienjäger kaum etwas stehen gelassen hatten. Sands Grab wurde ein Wallfahrtsort, dort gewachsene Blätter und Blüten waren überaus beliebt. Im Vormärz erhielt Sand die Qualität eines politischen Heiligen, stieg zum idealisierten Vorkämpfer und zur Identifikationsfigur vor allem im radikaldemokratischen und -nationalen Flügel der Burschenschaft auf.
Seine Grabstätte befindet sich auf dem Hauptfriedhof Mannheim, nicht weit entfernt von dem Grab seines Opfers.
Sands Tat lieferte dem Deutschen Bund einen willkommenen Anlass für die Karlsbader Beschlüsse (20. September 1819) zur Unterdrückung der nationalen und liberalen Bewegung, deren Speerspitze die Burschenschaft war. Es folgte deren Auflösung, die Einsetzung der Mainzer Zentraluntersuchungskommission und die erste größere Demagogenverfolgung.
Sand war weniger politisch Handelnder als vor allem Auslöser der Reaktionen Metternichs und anderer, diesem gleichgesinnter Regierungen, die für ihr scharfes Vorgehen gegen die bürgerliche Nationalbewegung Sands Mord als Rechtfertigung anführen konnten. Der Hinweis auf Sand erlaubte die Diskreditierung und Kriminalisierung des politischen Wollens breiter Kreise des deutschen Bürgertums. Charakteristisch war die Entlassung des liberalen Berliner Theologieprofessors Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849), weil er Sands Mutter einen Trostbrief geschrieben hatte.
In der Nationalbewegung und deren Umfeld wurden dem „Mörder aus Vaterlandsliebe“ (K. A. von Müller) bis in die Gegenwart eine Vielzahl von Aufsätzen, Gedichten, Flugschriften, Schauspielen, Romanen und bildlichen Darstellungen gewidmet. Alexander Puschkin dichtete etwa auf Sand Der Dolch, ein Gedicht, das 1825 unter den russischen Dekabristen kursierte. Alexandre Dumas widmete ihm eine Novelle, Karl Hans Strobl und Ernst Penzoldt je ein Schauspiel, 1873, 1921, 1924, 1926, 1993 und 1998 erschienen umfangreichere Sand-Romane.
Siehe auch: Friedrich Mallet
Die außerordentlich umfangreiche Literatur, Porträts usw. ist erfasst bei:
Personendaten | |
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NAME | Sand, Karl Ludwig |
KURZBESCHREIBUNG | radikaler Burschenschafter; er war der Mörder von August von Kotzebue |
GEBURTSDATUM | 5. Oktober 1795 |
GEBURTSORT | Wunsiedel |
STERBEDATUM | 20. Mai 1820 |
STERBEORT | Mannheim |