Sommersemester 1996 Nr. 1 vom 10. Mai
weiter: Der Seitenzahlencomic.
Wenn die Computerwelt schreibt, entstehen Wortgebilde, die man so
woanders nicht finden kann. Die Redaktion des ,,Duden`` ahnt nichts
von ihnen. Noch sind sie Sprache der Avantgarde, bald werden sie
alle gleich sein.
Die Computerwelt, wir wissen es, bildet die Avantgarde menschlichen
Gewerbefleißes. Auch die Sprache dieser Welt ist natürlich
Avantgarde. Sie nimmt nicht nur (,,sensibel`` ist das Wort) aktuelle
Sprachtendenzen auf; sie treibt die Entwicklung selber tatkräftig
voran.
Vor mir liegt ein Softwarehandbuch. Es hat nichts Bemerkenswertes an sich,
außer vielleicht, daß es überhaupt existiert - amerikanische Firmen, die ein
kleines Dienstprogramm auf den deutschen Markt bringen, machen sich nicht immer
die Mühe, das Programm selbst und das dazugehörige Handbuch übersetzen zu
lassen. Für dieses zeichnet sogar ein deutscher Übersetzer mit seinem Namen.
Und man kann noch nicht einmal sagen, daß seine Übersetzung in einem
konventionellen Sinn schlecht wäre (auch wenn sie einem das seltene Vergnügen
verschafft, einen Satz wie Das ist jedem seine eigene Entscheidung
gedruckt zu sehen). Ihr Deutsch wirkt nur noch etwas eigen. Es ist nämlich das
Deutsch von morgen.
Das Programm, welches dieses Handbuch erläutern soll, heißt UNINSTALLER
und ist eine Art Reinigungsmittel (es hütet sich, seinen Namen mit
ENTKLEMPNER ZU übersetzen): Es soll all den Dateienmüll, den nicht mehr
benötigte Software einst in diversen Windows-Verzeichnissen hinterlassen hatte,
mühelos wegputzen. Wenn es so mühelos wie versprochen nicht gelingt, dann
auch darum, weil man sich zunächst durch das Handbuch zu beißen hat, das in dem
lobenswerten Bemühen, alles idiotensicher zu erklären, erst einmal noch das
Klarste verunklärt.
Will sagen: Wer auf seinem PC so viel Software installiert hat, daß er
zum Großreinemachen schreiten muß, dürfte ja längst mitbekommen haben,
wie ein Dateiname aussieht und daß die drei Zeichen seiner Endung oft
verraten, welcher Gattung die betreffende Datei angehört. Dem
Handbuch gelingt es, diesen simplen Fakt so zu erklären: ,,... nehmen
wir einmal an, Sie schreiben einen Brief an Ihre Freundin Anna
.... (Wenn er fertig ist, fordert Ihr Textprogramm) Sie auf, der Datei
einen Namen zu geben. Sie könnten ANNA eingeben. Dann würde (Ihr
Textprogramm) das Dokument ANNA.DOC nennen. (Es) fügt den `DOC´Teil,
wie den Nachnamen eines Kindes, zu dem Namen hinzu - dadurch wissen
Sie, wer die Eltern sind. (Das Programm) liest DOC und weiß, ANNA ist
eines seiner `Babies´.`` Endlich kapiert? Und was, wenn Sie die
Freundin wechseln, und die neue heißt nicht Anna Doc?
Dies aber nur, um zu zeigen, welchem Gegenstand die sprachliche
Anstrengung gilt und daß die Lektüre auch frohe Momente beschert.
Das Deutsch von morgen, das der Übersetzer auf seine Leser losläßt,
hat er nicht selber erfunden, wie man sogleich sehen wird; er hat nur
demonstrativ verdichtet, was schon vielerorts zu hören und zu lesen
ist. Und dies sind die zehn wichtigsten Neuerungen:
- Englisches wird manchmal übersetzt, manchmal naturbelassen. Wann das eine
geschieht und wann das andere, entscheidet das Los. Keinesfalls wird dabei
berücksichtigt, wieviel Widerstand ein englischer Begriff etwa seiner
Übersetzung entgegenbringt. Daß sich zum Beispiel Backup & Restore
wunderbar leicht übersetzen ließe (Sichern + Wiederherstellen), heißt
nicht, daß es auch übersetzt wird; lieber plagt man sich mit hoffnungslosen
Fällen wie SmartDecoy (das zu"`Köder"' Kopie wird).
- Wo ein übersetzungsbedürftiges englisches Wort ein irgendwie ähnliches
deutsches Gegenstück hat, okkupiert es dessen Bedeutung, auch wenn die Leute
zunächst einmal nichts mehr verstehen: Das Restaurieren einer
Sicherheitskopie geschieht automatisch. Was verschlägt es, daß
restaurieren gar nicht dasselbe wie restore bedeutet,
wiederherstellen? Das wird es bald schon tun; Wörter wie
kontrollieren und realisieren und konfrontieren (er
konfrontierte seinen Schöpfer) und Droge und Zerealie und
Option und Integrität (früher Anständigkeit, heute auch
Vollständigkeit) und Studie (früher nur eine Vorarbeit, heute
jede wissenschaftliche Untersuchung) und viele andere, sind ihm vorangegangen.
Tatsächlich ist es gar keine üble Art, im zunehmenden Weltverkehr die
Begriffssysteme verschiedener Sprachen kompatibler zu machen.
- Deutsch hat die Eigenschaft, Wortstämme vieler Art zu neuen Begriffen
zusammenzusetzen. Dabei entstehen oft vielbespöttelt lange Wörter vom Typ
Donaudampfschiffahrtskapitänswitwenversicherungsgesellschaftshauptgebäudeseiteneingangstür.
Es gab bisher nur zwei Arten, solche Komposita zu schreiben: zusammen oder mit
Bindestrich(en). Diesem Zustand macht das Deutsch von morgen ein Ende. Es
schreibt, wie es das Englische und jede vernünftige Sprache meistens machen,
die einzelnen Elemente getrennt: Shell Verweis, Windows Anfänger,
Support Datei. Dabei beschränkt es sich keineswegs auf solche Fälle, in
denen englische Elemente in die Zusammensetzung, die nun keine mehr ist,
aufgenommen werden. Auch wo sämtliche Elemente der deutschen Sprache
entstammen, wird es so gemacht: Notizblock Anwendung, Raster Schriftart,
System Säuberung Eigenschaft (was immer die ist). Wer es einmal begriffen
hat, merkt bald, daß Hilfe Sekretär kein Hilferuf (künftig: Hilfe
Ruf) sein soll; selbst der Sinn der Welche: Box erschließt sich
irgendwann. Das Fugen-s verhindert solche Trennungen keineswegs, auch wenn da
nun ein abenteuerlicher neuer Genitiv entstanden zu sein scheint:
Eliminations Prozeß, Technische Unterstützungs Abteilung. Nur manchmal
taucht noch eine vage Erinnerung an die alte Art und Weise auf; dann wird,
wiederum nach dem Zufallsprinzip, ein Bindestrich irgendwohin gesetzt:
Datei-Lösch Sekretär. Und wer jetzt meint, das sei nun doch nur eine
Marotte dieses einen Übersetzers, der werfe einen Blick in ein beliebiges
Computermagazin, ach was, auf die Schilder der nächsten Einkaufsstraße. In
den letzten Jahren sind alle Dämme gebrochen. Zwischen dem Sonnen
Studio und der Folklore Boutique leuchtet da der neue Stern am
Pianisten Himmel.
- So wie die Nebeneinanderstellung flexionsloser Wortstämme im Englischen
zuweilen die Grenze zwischen Adjektiv und Substantiv vermischt (man merkt nur:
das hintere Substantiv wird von dem vorderen Element näher bestimmt),
geschieht es praktischerweise auch im Deutsch von morgen: der original
Programmdateiname, der standard Treiber. In der weiteren Entwicklung wird
dann nicht etwa auch das Scheinadjektiv flektiert (der standarde
Treiber); es werden wohl vielmehr dem Adjektiv die Flexionsendungen
gestrichen (der modern Jargon, wie ein klasse Eis).
- Eine geradezu charmante Neuerung, von der der "`Duden"' noch nichts ahnt,
ist die Sitte, Komposita übersichtlicher zu machen, indem man einzelne
Elemente im WortInnern großschreibt. Hier ist sie nur durch den
DoppelFinder vertreten, Sie hat aber auch gar keinen Push mehr nötig,
denn sie hat sich längst durchgesetzt, selbst in quasi amtlichen Drucksachen:
HiFi, LandesBank, InterCityTreff, InHausPost, TeleBanking,
StrickNadelTest, WirtschaftsWoche, und, weil es so apart wirkt, sogar
DieWoche. Die Neuerung verdankt sich dem Umstand, daß der Computer bei
manchen internen Verrichtungen keine Leerzeichen duldet und, wenn screen
save time out nicht geht, ScreenSaveTimeOut jedenfalls sehr viel
lesbarer ist als screensavetimeout. Aber im Deutschen ist das Neue in
diesem Fall nur das Alte. In den Briefen des Dichters Wilhelm Waiblinger,
Hölderlins Jugendfreund, finden sich beispielsweise: HerrGott,
FlammenSchrift, MorgenZeitung, OberfinanzRath oder auch eine
BuchhändlerCanaille.
- Das Deutsch von morgen erfreut mit dem sächsischen Genitiv, nicht nur bei
Eigennamen (Norton's), auch sonst (Manager's). Freilich ist er
schon heute aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Die Titanic
hat mehrmals gesammelt: Anne's Lädchen, Ossi's Grill, Jörg's Backstube,
Rudi's Fundgrube, Dino's Getränkemarkt. Sie ist dabei auf kühne
Auslegungen gestoßen wie Museum's Café oder gar Mac's Snack's,
die den Verdacht nahelegen, beim deutschen sächsischen Genitiv sei der
Apostroph gar kein Auslassungs- und kein Genitivzeichen, es gehe vielmehr um
die neue deutsche Leidenschaft, einfach "`ein Zeichen zu setzen"', Bedeutung:
"`Kuck mal!"'
- Kommas werden im Deutsch von morgen ebenfalls nach dem Zufallsprinzip über
den Text verstreut (Für, in der Shell installierte Objekte ... ).
Trennfehler gibt es nicht mehr: Auch wenn am rechten Seitenrand noch so große
Lücken klaffen - Worttrennungen sind völlig abgeschafft, eingedenk des
Umstands, daß in so gut wie allem Gedruckten heute das Trennen vom Computer
besorgt wird, der all die wirren menschlichen Regeln nun wirklich nicht
beherrschen kann.
- Die deutsche Idiomatik wird ebenfalls bereichert, und zwar um
Redewendungen, die geradewegs aus dem Englischen übersetzt wurden: danke
für diese Anweisungen statt dank dieser Anweisungen, das ist
so, da ... statt das liegt daran, daß ... und so weiter. Auch hier
setzt das Deutsch von morgen jedoch nur fort, was ihm das Deutsch von heute
längst vorgemacht hat, wenn es eine gute Zeit haben oder Sinn
machen oder kein Problem! sagt, ist das nicht so? Wir sehen
uns noch.
- Während sich die Anglisierung des Deutschen im allgemeinen auf den
Wortschatz beschränkt hat und die Syntax unangetastet ließ, wird das Deutsch
von morgen hier erste Einbrüche erzielen. Es ist wahr, auch sonst hört man
zuweilen schon Pionieräußerungen wie das ist mehr interessant,
die Protests oder Fliegen Sie Delta? Aber das Handbuch zum
ENKLEMPNER läuft hier zu voller Form auf. Es hat die verbreitete
Sitte aufgegriffen, das, was im herkömmlichen Deutsch nur durch den Genitiv
oder eine Präposition ausgedrückt werden konnte, auf die umstandslose
englische Art zu konstruieren: der Kohl-Besuch statt Kohls
Besuch, der Handke-Roman statt Handkes Roman, die
Schmidt-Villa statt die Villa von Familie Schmidt. Aber es dehnt
diese Sitte nun auch auf vielgliedrige Phrasen aus. Erst versteht man nur
Bahn Hof. Wenn man sich dann aber klargemacht hat, daß der Typ das
Schild "`Vorsicht, spielende Kinder"' hier zu das "`Vorsicht,
spielende Kinder"'-Schild umgemodelt wird und zudem alle hilfreichen
Satzzeichen entfallen, wird plötzlich klar, was da gemeint sein könnte:
der Geschicktes Entfernen Abschnitt, die Alle Löschvorgänge
bestätigen Checkbox, der Druckereinrichtung Sende Header Dialog, gar
der Wählen Sie das zu deinstallierende Programm Dialog.
- Ob der Waise (Die Definition eines "`Waisen"' ist ... zu
lang, um hier zitiert zu werden) ebenfalls futuristisch gemeint ist oder
antiantisexistisch, wird leider nicht deutlich; die konsequente
Großschreibung, von Adjektiven in titelartigen Zeilen ist es bestimmt.
Gelegentlich führt zwar auch sie zu Große Verständni's Probleme: Entspricht
das Schnelle Waisen Finden den Geschicktes Waisen Löschen? Ist
der Waise schnell oder seine Auffindung? Aber das Deutsch von morgen soll ja
auch keineswegs ein einfacheres, klareres sein.
Irgendwo heißt es: "`Betrachten Sie es so, als wenn zwei Personen verschiedene
Sprachen sprechen, die einen Übersetzer beschäftigen, der ihre Worte
übersetzt. Die Funktion des Übersetzers übernimmt der Treiber."' Falsch. Hier
hat der Ü. kühl die Funktion des T. übernommen: dem Deutsch von morgen
entgegen.
aus der ZEIT im Mai '95
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bits-Redaktion