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Prof. Dr. Carl Adam Petri

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Ein Meilenstein für die Informatik

Von Gerhard Seegmüller

Mit einer feierlichen Abschiedsveranstaltung wurde Prof. Dr. Carl Adam Petri, einer der drei Leiter des GMD-Instituts für Methodische Grundlagen, am 2. Juli 1991 im Großen Saal von Schloß Birlinghoven geehrt und zugleich in den Ruhestand verabschiedet. Die Laudatio hielt der Präsident der ''European Association for Theoretical Computer Science``, Prof. Dr. Grzegorz Rozenberg, Leiden University, Niederlande. Zum Festvortrag war ein ehemaliger Mitarbeiter Petris, Prof. Dr. Pazhamaneri S. Thiagarajan, heute School of Mathematics, Science Foundation der South Indian Petrochemical Industries Corporation in Madras, Indien, eingeladen worden. Grußworte sprachen Prof. Dr. Gerhard Seegmüller, Vorstandsvorsitzender der GMD, Prof. Dr. Fritz Krückeberg, Institutsleiterkollege von Carl Adam Petri, und Dr. Hartmann J. Genrich, Wissenschaftler im Institut für Methodische Grundlagen. Erschienen waren zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts sowie viele ehemalige Institutsangehörige, von denen die meisten inzwischen Professorenstellen bekleiden. Der GMD-SPIEGEL veröffentlicht die Beiträge von Gerhard Seegmüller, Fritz Krückeberg und Grzegorz Rozenberg.


Carl Adam Petri tritt nach 23 Jahren sehr erfolgreicher GMD-Institutsleiter-Tätigkeit in den wohlverdienten Ruhestand. Da ist ein kurzer Rückblick angebracht.

Bereits im Vorgängerinstitut der GMD, dem ''Rheinisch-Westfälischen Institut für Instrumentelle Mathematik`` an der Universität Bonn, war er überaus erfolgreich tätig. Er erfaßte die Verteiltheit von Informationsverarbeitungsprozessen in voller Konsequenz und schuf mit seiner Dissertation 1961 konstruktive Mittel dafür, verteilte Systeme und Prozesse zu modellieren. Zu dieser Zeit war der Prozeß-Begriff noch gar nicht in der Informatik eingeführt. Petris Schemata machen komplizierte nebenläufige, entkoppelte Ereignisse und deren Zusammenhänge durchschaubar und gestaltbar. Sie sind 1968 als ''Petri-Netze`` weltweit bekannt gewordien. Petri hat mit der ''Allgemeinen Netztheorie`` ein neues Teilgebiet der theoretischen Informatik entwickelt, das es erlaubt, die Gesetze des Informationsflusses sehr grundlegend zu erforschen. Somit haben Petris Dissertation und die darauf aufbauenden Arbeiten einen Meilenstein für die Informatik und rückblickend auch einen Meilenstein für die Arbeitsrichtung der 1968 neugegründeten GMD gelegt, was der GMD hohes internationales Ansehen bis auf den heutigen Tag eingebracht hat.

Aus der Fülle der Carl Adam Petri zuteil gewordenen Ehrungen möchte ich die Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1988 und die Honorar-Professur der Universität Hamburg besonders hervorheben.

Carl Adam Petri, gehört zum Kreis der Institutsleiter der ersten Stunde der GMD. Er war Leiter des Instituts für Informationssystemforschung, das später Teil des Instituts für Methodische Grundlagen wurde. Trotz vieler attraktiver, externer Angebote setzte er seine begonnene Arbeit kontinuierlich fort. Und noch eine Besonderheit: Petri ist der erste (hauptamtliche) Institutsleiter der GMD, der in den Ruhestand geht. Sein Name ist mit dem der GMD untrennbar verbunden und umgekehrt. Unter Petris Leitung standen Kreativitat und individuelle Forschungsleistung immer an erster Stelle, so daß aus dieser Forschungsphilosophie und seiner kontinuierlichen Arbeit Erfolge hervorgingen, die auch der GMD zugute kamen.

Petris Arbeiten waren schulbildend und haben eine ungeheure Menge wissenschaftlich anknüpfender Arbeiten stimuliert. Zwanzig von Petris ehemaligen Institutsmitarbeitern sind inzwischen im In- und Ausland Professoren geworden, und weltweit mehr als 3000 Veröffentlichungen befassen sich mit den Petri-Netzen und daran anknüpfenden Themen.

Die Bekanntheit von Petris Arbeit wird auch daran deutlich, daß in Amerika oder Japan jeder Informatikforscher den Namen ''Petri`` oder ''Petri-Netze`` kennt, während mitunter der Name ''GMD`` nicht so geläufig ist. Erwähnt man, daß Petri in der GMD arbeitet, dann erhält die GMD eine Aufwertung, weil bei ihr immerhin jemand wie Carl Adam Petri arbeitet.

So hat sich Petris wissenschaftlich fruchtbare und auch die Bekanntheit der GMD fördernde Wirkung bis in die Stunden seines Abschieds in den Ruhestand fortgesetzt. Die Stunde des Abschieds ist wegen des Auseinandergehens immer schmerzlich. Aber uns tröstet die Gewißheit, daß Carl Adam Petri auch in Zukunft der GMD verbunden bleiben wird. Für ihn selbst wird deutlich, was er sich durch seine Lebensarbeit selbst bereitet hat: weltweite wissenschaftliche Anerkennung, die schönste Erfüllung für den Wissenschaftler! Weitere wissenschaftliche Arbeiten werden auch aus Petris Ruhestand heraus entstehen, und deren Ausstrahlung ist auch für die GMD förderlich.



Carl Adam Petri - eine herausragende Forscherpersönlichkeit

Von Fritz Krückeberg

Als langjähriger Kollege und Freund habe ich die Entwicklung und Bedeutung von Carl Adam Petri in der GMD erleben und verfolgen können. Carl Adam Petri war von den Anfängen der Gründung der GMD an mit dabei und zugleich, wie es zu seinem Wesen gehört, voll engagiert. Für die GMD hatte Carl Adam Petri die Bedeutung einer besonders herausragenden Forscherpersönlichkeit, die allerdings manchmal im internationalen Unlfeld mehr Beachtung fand als in der GMD selbst. Wo immer und wie immer es möglich war, habe ich seine Arbeiten und Arbeitsbedingungen unterstützt und als Kollege ihm gelegentlich Mut gemacht.

Mit der Abschiedsveranstaltung in der GMD wurden die Verdienste von Carl Adam Petri und seine Persönlichkeit in ausgezeichneter Weise gewürdigt. Prof. Gerhard Seegmüller hat als deren Vorstandsvorsitzender dieses in seiner Eröffnungsansprache sehr klar für die GMD getan, wenn er sagt: ''Ihr Name ist mit dem der GMD untrennbar verbunden und umgekehrt. Unter Ihrer Leitung standen Kreativität und individuelle Farschungsleistung immer an erster Stelle, so daß aus dieser Forschungsphilosophie und Ihrer kontinuierlichen Arbeit Erfolge hervorgingen, die auch der GMD zugute kamen``.

Die Laudatio von Prof. Dr. Grzegorz Rozenberg, die Grußworte von Dr. Hartmann J. Genrich und mir und der Festvortrag von Prof. Thiagarajan vervollständigten das von Prof. Seegmüller mit seinen Eröffnungsworten begonnene Bild zu einer eindrucksvollen Gesamtarchitektur deren Ausstrahlung in die Zukunft klar erkennbar ist, sei es für die Informatik und deren Anwendungen, oder sei es nicht zuletzt auch für die Mathematik und die Grundlagen der Physik.

In seinen abschließenden Dankesworten an alle Anwesenden und nicht Anwesende, Freunde, Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde klar, daß fur Carl Adam Petri die geistigen Herausforderungen und die kreative Schaffenskraft die bestimmenden Lebenselemente seines neuen Lebensabschnittes bleiben werden. Diesem neuen Lebensabschnitt gelten auch meine herzlichsten Wünsche an Carl Adam Petri in Freundschaft und Dankbarkeit.



Carl Adam Petri und die Informatik

Von Grzegorz Rozenberg

Es gibt wenigstens zwei Gründe, warum es nicht einfach ist, über Carl Adam Petri als Mensch und als Wissenschaftler zu sprechen. Der erste ist, daß Petri ein ungewöhnlicher Mensch ist, und der zweite, daß Petri ein ungewöhnlicher Wissenschaftler ist.

Hinzu kommt noch ein dritter Grund von eher zeitlicher Natur: Es gilt, in ziemlich kurzer Zeit etwas Vernüftiges über seine Arbeit der letzten 50 Jahre zu sagen.

Der Vater von Carl Adam Petri war Mathematiker. Er führte Carl Adam Petri in die Mathematik ein und erzählte ihm viele Geschichten über verschiedene Mathematiker. Durch die Beziehungen seines Vaters war es ihm möglich, die Zentralbibliothek von Leipzig zu besuchen und Werke des damals verbotenen Albert Einstein zu lesen.

1941 erzählte sein Vater ihm von der Arbeit von Konrad Zuse, die sich mit den Rechenfähigkeiten von Maschinen beschäftigten. Petri begann sofort damit, die physikalischen Gesetze für Zwecke des Rechnens und der Automation auszulegen. Er baute sich sogar einen kleinen Analog-Rechner. Schon bald jedoch gelangte er zu der Überzeugung, daß digitale Rechenmethoden in vielerlei Hinsicht besser, vielseitiger und zuverlässiger sind. Die Natur des Rechnens, und speziell die Unterschiede zwischen Analog- und Digital-Rechnen, beschäftigten seine Gedanken während seiner Kriegsgefangenschaft in England. Petri zufolge besteht der wesentliche Aspekt dieser Überlegungen darin ..., daß sie noch längst nicht abgeschlossen sind; es sind noch immer Gedanken, die für ihn im Mittelpunkt stehen.

Seit jener Zeit war und ist seine Hoffnung, daß eine Verbindung von beiden Arten von Geräten gefunden wird, die Nachteile, wie mangelnde Genauigkeit und Verlust von Information vermeidet, aber Vorteile, wie Umkehrbarkeit, unterstützt. Viel Zeit ist nötig, um dieses Ziel zu erreichen, aber geleitet von dieser Vision hat Petri, beginnend mit seiner Dissertation, verschiedene ''Teil``-Beiträge beigesteuert, wobei der wichtigste seine in letzter Zeit entwickelte Theorie der Zykloiden ist, Modellen kreisförmiger stetiger Bewegung, die sowohl in analoger als auch in digitaler Weise interpretiert werden können.

Das Gesetz der Erhaltung von Information

Die Idee der Reversibilität von Berechnungen führte Petri zu der Suche nach einem Gesetz der Erhaltung von Information. Petri zufolge ist es einer der Mängel der Informatik als Wissenschaft, daß sie nicht nach einem entsprechendem Gesetz, wie die Energieerhaltungssätze in der Physik, sucht. Als Naturgesetz könnte es die Entdeckung neuer Formen von Information ermöglichen. Davon unabhängig würde ein solches Gesetz zum Begriff der Informationsbilanz und deren Meßbarkeit führen. Man sollte nach einem Stück Informationsverarbeitung in der Lage sein, seine Bilanz zu präsentieren. Für Petri ist ganz klar, daß in der Welt der Informationsverarbeitung die Betrachtung der Informationsbilanz eine ganz normale, alltägliche Angelegenheit sein sollte, genau so wie das Bankgeschäft nicht möglich wäre ohne den Begriff der Bilanz. Ein wichtiger Grund, warum diese Tatsache in der Welt der Informatik nicht allgemein anerkannt ist, besteht darin, daß es nicht klar ist, was da bilanziert werden sollte, Die Frage ist, was Information eigentlich ist. Wie Petri die Dinge sieht, ist es etwas, das mit Begriffen der Physik erklärt werden könnte, aber nicht notwendigerweise mit Begriffen der bereits vorhandenen Physik. Derartige Überlegungen mündeten in der Idee, die Ausbreitung von Information in Fluß und Einfluß zu zerlegen, und weiter in der Vorstellung von Antiinformation.

Dieser Zweig seiner Forschung ist sehr typisch für Petri - er liebt es, die Physik als das Gebiet zu betrachten, mit dem sich die Informatik vergleichen und wo sie nach grundlegenden Einfällen suchen sollte. Einfacher und knapper gesagt: Petri liebt die Physik. Bis heute bedauert er sehr, nicht Physik als zweites Hauptfach studiert zu haben.

Allerdings, sein Hauptanliegen war seit jenen frühen Tagen die Bedeutung der Informationstechnologie für die Menschen. Insbesondere war seine große Frage hier: Wozu mögen all diese Entdeckungen und Erfindungen dienen?

Die Dissertation

Und damit kommen wir zu Petri's Dissertation, einer der bekanntesten Dissertationen in der Informatik.

Der Titel der Dissertation war ''Kommunikation mit Automaten``, und die nächstliegende Bedeutung dieses Titels bezog sich auf die Idee, die Turing's Gedankenexperiment zugrunde liegt, bei dem eine Person über eine Tastatur mit einer ''hinter einem Schirm verborgenen Person`` kommuniziert, die jedoch auch eine Maschine sein kann. Im Deutschen hat dieser Titel allerdings noch eine andere Bedeutung, nämlich ''Kommunikation zwischen Personen mittels Maschinen (Automaten)``. Diese Bedeutung bezieht sich auf die Rolle eines Computers bei der Kommunikation zwischen Personen, und nicht auf seine Rolle als Einrichtung für die Ausführung von Berechnungen und auch nicht auf seine Rolle als ''Maschine hinter dem Schirm`` in Gedankenexperimenten.

Petri hat diesen mehrdeutigen Titel mit Bedacht gewählt, und er war sicher, daß niemand die zweite Bedeutung entdecken würde. Umso größer war seine Überraschung, als die erste Frage bei der öffentlichen Disputation seiner Dissertation lautete, welche der beiden Bedeutungen denn nun beabsichtigt sei. Bei der Beantwortung dieser Frage hat Petri zugegeben, daß die zweite Interpretation des Titels die beabsichtigte war, daß jedoch der Inhalt der Dissertation mehr der ersten Interpretation entspräche. Das Hauptergebnis der Dissertation bestand in dem Nachweis, daß die Beschreibung einer universellen Turingmaschine in einer Weise möglich ist, die nicht den physikalischen Gesetzmäßigkeiten widerspricht. Der in der Dissertation eingeführte Begriff der Netze jedoch sollte im folgenden der Erforschung einer bedeutsameren Frage dienen: Wie kann ein Medium der Informationsverarbeitung für die Kommunikation zwischen Personen genutzt werden?

Die Dissertation (einschließlich der Zeichnungen) wurde im Verlauf von zwei Wochen in zehn Tagen niedergeschrieben: fünf Tage Arbeit, dann Wochenende, dann wieder fünf Tage Arbeit. Über das vorgelegte Material aber hatte Petri viele Jahre lang nachgedacht.

Der Rechenzentrumsleiter

Nach der Promotion wurde Petri mit der sehr praktischen Aufgabe betraut, der Universität Bonn ein ordentliches Rechententrum aufzubauen, mit einem Betriebssystem, das wirklich gut und zuverlässig war und elf Jahre überdauerte. Während dieser Zeit arbeitete er auch weiter an der Netztheorie, die er in seiner Dissertation begründet hatte und die von der zweiten Bedeutung des Titels ''Kommunikation mit Automaten`` ausging. Ein Teil dieser Arbeit war direkt mit der Praxis des Rechenzentrums verbunden - eine auf Netzen begründete Sicherheitstheorie.

Bereits um das Jahr 1965 hat Petri viele Möglichkeiten des Computer-Mißbrauchs vorhergesehen - wie illegale Einsicht in Daten, Viren, etc. - die heute offensichtlich sind, aber zu der Zeit keineswegs so offensichtlich waren. Er legte damals einen Plan vor, die verschiedensten Arten von Angriffen auf die Betriebssicherheit eines Rechenzentrums abzuwehren. Falls verwirklicht, hätte dieser Plan das Bonner Universitätsrechenzentrum zu einem Modellsystem in bezug auf Sicherheit und Zuverlässigkeit gemacht. Nach Petri's Schätzung hätten sich die Kosten für Hardwareumbauten auf etwa 2000 Dollar belaufen, vonnöten wäre allerdings ein erheblicher Arbeitsaufwand für das Anpassen von Software.

Der Plan wurde jedoch nicht angenommen, und eine günstige Gelegenheit war verpaßt. Petri's Enttäuschung war groß, denn er war überzeugt, daß es wegen der enormen Kosten einige Jahre später nicht mehr möglich sein würde, Sicherheit und Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Nach seiner Überzeugung war die Zuverlässigkeit eines Rechenzentrums von höchster Wichtigkeit, während andere ''beliebte`` Eigenschaften wie ''Optimalität`` an elfter, zwölfter oder dreizehnter Stelle seiner Wichtigkeitsskala rangierten. Seine Enttäuschung hält bis zum heutigen Tage an - es gibt ihm keine Genugtuung zu sehen, daß er Recht hatte in dem Sinne, daß heutzutage fast überall die Zuverlässigkeit von Computersystemen fehlt, und dies unnötigerweise.

Der Theoretiker

Von da an beschloß Petri, sich ganz den theoretischen Dingen zu widmen und sich nicht mehr auf praktische Angelegenheiten einzulassen. Der Begriff der Zuverlässigkeit blieb für ihn jedoch weiter zentral. Dies führte ihn dazu, die Theorie der Verarbeitung von Nachrichten nicht so sehr als Theorie des Rechnens zu formalisieren, sondern vielmehr als Mathematische Pragmatik, die heute sein Lieblingsthema ist.

Für Petri ist Mathematische Pragmatik eine umfassende Theorie der geregelten und vernünftigen Kommunikation zwischen Personen über alle Dinge von Wichtigkeit, vermittelt über ein Medium, das zwar noch nicht existiert, das aber konstruierbar ist mit Mitteln der Tnformationstechnologie von heute und der nahen Zukunft. Solch ein Medium kann selbstverständlich alle Funktionen der klassischen Kommunikationsmedien wie Übertragung, Verteilung und Speicherung von Nachrichten umfassen, und darüber hinaus die Funktion der Verknüpfung von Nachrichten.

Die Kommunikation selbst muß geregelt sein, aber die Regeln dürfen nicht einschränkend sein; was bedeuten soll, daß, während die Ausdrucksformen geregelt sein sollten, die Gebiete (oder Gegenstände) nicht beschränkt werden. In diesem Zusammenhang zieht Petri gerne Analogien zur Justiz und zu rechtlichen Verfahren - einem seiner Lieblingsgebiete. Petri bewundert rechtliche Verfahren als Regelwerke. Er hält sie für eine gute Erf;ndung, die allerdings behindert wird durch die Unzulänglichkeit der herkömmlichen Medien, die viele Einschränkungen erzwingen.

Um solche Überlegungen zu formalisieren, hat Petri zwölf Aspekte von Kommunikation herausgearbeitet, bezüglich derer Kommunikation als Disziplin noch lückenhaft ist, selbst bei formalisierter Kommunikation, wie den heutigen Computer-Netzen. Diese Kommunikationsaspekte reichen von scheinbar einfachen Dingen wie Synchronisation und Identifikation von Nachrichten bis zu anspruchsvolleren wie Autorisierung und Reorganisation. Durch das Herausarbeiten dieser Kommunikationsaspekte, und durch die Entwicklung formaler Methoden zu ihrer Untersuchung auf der Grundlage von Netzen und Nebenläufigkeit möchte Petri zum Erreichen zweier Hauptziele der Mathematischen Pragmatik beitragen, nämlich

Obwohl Petri zufolge die Erreichung dieser Ziele noch hundert Jahre entfernt sein mag, läßt sich bereits heute die technologiegestützte Kommunikation verbessern. Er sieht dies als wichtig an, denn die Grenzen des Denkens bestehen in Wahrheit in den Grenzen der Kommunikation, also wäre die Ausdehnung des Reichs der Kommunikation durch ein leistungsfähigeres Medium von großem Wert für die Arbeit des menschlichen Geistes.

Es ist sehr typisch für Petri, solche langfristigen Ziele - sogar sehr langfristigen Ziele - vorzugeben, die nicht heute zu erreichen sind, die aber von solcher Art sind, daß sie einem erlauben, schon jetzt die vielfältigen kleinen Fortschritte unter gemeinsamen, vereinheitlichenden Begriffen zu sehen.

Dies ist wohl eine beneidenswerte Eigenschaft: großartige Ziele in der fernen Zukunft klar zu sehen und die derzeitigen Ergebnisse als nur winzige Schritte anzusehen, gibt einem einen guten Blickwinkel und schützt einen davor, sich in Defails zü verlieren.

Die Veröffentlichungen

Carl Adam Petri hat nicht sehr viele Arbeiten veröffentlicht, aber was er veröffentlicht hat, hat einen großen Einfluß auf die Entwicklung der Informatik gehabt - und wird ihn weiter haben. Seine Veröffentlichungen sind zeitlich wohl geordnet; man kann darin fünf Hauptstationen unterscheiden.

1. Die Dissertation, 1962 veröffentlicht.

Auf die sind wir bereits ausführlich eingegangen. Petri war nicht sehr glücklich mit der Qualität der Konstruktionen in seiner Dissertation, aber schon sehr bald konnte er viele Verbesserungen und Änderungen anbringen. Viele davon fanden Eingang in seine Arbeit aus dem Jahr 1965 ''Grundsätzliches zur Beschreibung diskreter Prozesse`` (die englische Übersetzung ist unter dem Titel ''Fundamentals of the Representation of Discrete Processes`` erschienen).

2. ''Concepts of Net Theory`` und ''Interpretations of Net Theory``, 1973 beziehungswelse 1976 veröffentlicht.

Diese Arbeiten vervollständigen den Vergleich dcr Netztheorie mit anderen Ansätzen. Obwohl nicht ausdrucklich so bezweckt, sind die benutzte Sprache und die gewählte Ausdrucksform derart, daß der Ansatz der Netztheorie mit anderen Petri bekannten Ansätzen verglichen werden kann. Es werden auch direkte Anwendungen von Netzmodellen angeführt, die in anderen Ansätzen nicht einfach zu formulieren sind.

3. ''General Net Theory`` und ''Communication Disciplines``, 1977 veröffentlicht.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Netze als einfache Objekte betrachtet - jedes Netz wurde als gesonderter Untersuchungsgegenstand betrachtet. Hier erläutert Petri, wie Netze miteinander verbunden werden können, und entwickelt die Idee des Netzmorphismus, die von dem Vorbild der stetigen Abbildung in der Topologie abgeleitet ist. Er zeigt, wie eine Vielzahl von nützlichen Operationen auf Netzen durch die Untersuchung vun Netzmorphismen-Diagrammen gewonnen werden konnten. Diese Arbeit stellt einen Einstieg in die Erforschung höherer Netze dar. Sein Leitgedanke lautet, daß alle Konstruktionen höherer Netze dem Morphismenweg folgen sollen: Netze auf unterschiedlichen Ebenen sollen durch Morphismen miteinander verbunden sein.

4. ''The Pragmatic Dimension of Net Theory`` (zusammen mit Einar Smith), 1986 veröffentlicht, und die auf der Tagung über Anwendung und Theorie der Petri-Netze in Saragossa vorgetragene Arbeit.

Dies sind die Beiträge zur Mathematischen Pragmatik, die wir bereits ausführlich diskutiert haben. Ein wichtiger Gedanke hierbei ist, daß die Entwicklung einer Pragmatik nicht so sehr den rechtlichen Regelsystemen folgen sollte, sondern vielmehr dem Vorbild der Physik und ihrer Entwicklung.

5. ''Concurrency and Continuity``, 1987 veröffentlicht.

Hier bietet Petri eine Lösung für das Rätsel der Stetigkeit an, das auf der Diskrepanz zwischen dem natürlichen Auftreten von Stetigkeit (einem sehr realen Phänomen) und dem mathematischen Modell der Stetigkeit beruht, das auf der Universität gelehrt wird. Petri ist der Überzeugung, daß dieses Modell nicht das einzig mögliche ist und vielleicht nicht einmal korrekt ist in dem Sinne, daß die Auswahl eines Elements aus einer stetigen Menge einen unendlichen Betrag an Information (für die Auswahlarbeit) erfordert. Dies ist die Eigenschaft eines Modells und nicht eine Eigenschaft natürlicher Stetigkeit. Um dieses Rätsel zu lösen, postuliert Petri Halbordnungen als die grundlegenden Strukturen, und in diesem Rahmen eröffnet er einen ganz neuartigen Zugang zum Phänomen der Stetigkeit. Der Grundgedanke ist, stetige Prozesse auf kombinatorische Weise darzustellen.

Interessen und Ideen

Ich habe bisher eine Reihe von Ideen skizziert, die von Petri über die Jahre entwickelt und gehegt wurden. Es ist klar, daß diese Skizze nicht in die Tiefe geht und unvollständig ist, aber sie vermittelt ein Bild von Petris Leistungen. Seine Interessen überdecken ein sehr breites Spektrum, von den ganz praktischen Dingen des Betriebs eines Rechenzentrums bis hin zu hochtheoretischen Fragestellungen über Stetigkeit und die Zusammensetzung des Informationsflusses.

Petri ist ein wunderbarer Gesprächspartner. Er versteht es, faszinierende Einblicke in seine Ideen zu geben, in einer leidenschaftlichen und doch bescheidenen Art und Weise. Er ist einfach ein bescheidener und toleranter Mensch. Er ist ''ganz Ohr``, wenn jemand anderes ihm gegenüber interessante Gedanken äußert.

Petri ist ein wahrer Wissenschaftler. Er hat großartige Ideen hervorgebracht, ohne alles auf ihre sofortige Akzeptanz auszurichten. Die Tatsache, daß seine Ideen anfangs keine breite Unterstützung fanden, beruht auf dem bekannten Beharrungsvermögen der Wissenschaftsgemeinde und darauf, daß er in seinem Denken seiner Zeit weit voraus ist.

Seine Ideen für eine drastische Erhöhung der Sicherheit des Bonner Universitätsrechenzentrums wurden nicht aufgegriffen, weil man stolz und zufrieden war, daß Programme als Daten behandelt werden konnten und Petri gerade hier Grenzen einrichten wollte.

Sein Netzbegriff fand anfangs keine breite Akzeptanz, weil der Theoriegemeinde gerade die eleganten sequentiellen Begriffsbildungen eines endlichen Automaten, eines Kellerautomaten, einer Turingmaschine, einer kontextfreien Grammatik u.s.w. vorgeschlagen worden waren und sie noch mit ihnen spielte und sie besser zu verstehen versuchte. Die einzigen Aspekte der Netztheorie, die von der Theoriegemeinde von Anfang an angenommen wurden, waren die automaten- und sprachtheoretischen Aspekte, die in Petris Programm allerdings nicht so wichtig waren. Darüber hinaus kam das von Petri vorgeschlagene Paradigma des Kommunikationsmediums zu früh in die Fachwelt. Hardwarekosten waren zu der Zeit viel zu hoch.

Petri jedoch hat dennoch an der Verwirklichung seines Programms und seiner Theorie verteilter informationsverarbeitender Systeme weitergearbeitet. Seine wesentlichen Erfolge in jener Zeit bestanden darin, die mathematischen Werkzeuge zu konstruieren, die für die Spezifikation verteilter Systeme auf unterschiedlichen Begriffsebenen benötigt werden, den Begriff des nicht-sequentiellen Prozesses zu entwickeln, die formale Semantik von Systemen mit nebenläufigen Aktivitäten in den Griff zu bekommen, und eine elegante und leistungsfähige Verbindung zwischen seiner Theorie und der klassischen Logik herzustellen.

Die achtziger Jahre waren Zeuge einer breiten Anerkennung von Petris Ideen. Sein Werk hat direkt oder indirekt eine Vielzahl alternativer Ansätze für die Untersuchung verteilter Informationsverarbeitung beeinflußt. Die wichtigeren Begriffe und Ergebnisse der Netztheorie werden heutzutage als Meßlatten für Erfolg und Anerkennung von Begriffen und Ergebnissen benutzt, die in anderen Theorien nebenläufiger Systeme entwickelt wurden.

All dies markiert nur Anerkennung, die die wissenschaftliche Gemeinschaft heute Carl Adam Petri zollt.

Carl Adam Petri ist wissenschaftlich immer noch sehr aktiv, voll von wunderschönen und neuartigen Ideen, voll von aufregenden langfristigen Zielen. Wir alle hoffen, daß er noch viele, viele der vor uns liegenden Jahre in der Lage sein wird, seine Forschungsarbeit fortzusetzen, so daß die Informatik und viele von uns persönlich von diesen Gedanken profitieren können.

Ich fühle mich sehr geehrt, daß mir das Privileg zuteil wurde, die Laudatio für einen Wissenschaftler von solchem Format halten zu dürfen. Besonders aber bin ich sehr stolz und glücklich, daß wir uber die Jahre so gute Freunde wurden. Ich wünsche Carl Adam Petri für die Zukunft viel Erfolg und persönliche Befriedigung.


Dieser Artikel wurde entnommen aus dem GMD-Spiegel 3/4'91 (Seiten 52-57) mit freundlicher Genehmigung der GMD.

Letzte Änderung: 17:40 19.05.2011
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